jueves, 31 de diciembre de 2015
Joseph von Eichendorff : Aus dem Leben eines Taugenichts
Joseph Freiherr von Eichendorff (1788, Schloß Lubowitz bei Ratibor, Oberschlesien - 1857, Neiße) war der "letzte Ritter der Romantik", auch wenn er 1834 gesagt hatte: "Ich wollte, die Romantik wäre lieber gar nicht erfunden worden". Er schrieb Romanen, Novellen und Gedichte. Er ist als Novellist vorwiegend Lyriker und versucht durch seine lyrische Prosadichtung aus der Gegenwart zu fliehen. Sein bekannteste und bedeutsamste Prosa-Erzählung ist Aus dem Leben eines Taugenichts.
Joseph von Eichendorff : Leben und Werk (Projekt Gutenberg) >> Link
Aus den Leben eines Taugenichts : Text und Kommentar (Goethezeit Portal) >> Link
Die deutschen Parteien
Avanzado >> Thomas Bernhard : Mildtätigkeit
Eine uns benachbarte alte Dame war in ihrer Mildtätigkeit zu weit gegangen. Sie hatte, wie sie geglaubt hatte, einen armen Türken zu sich genommen, welcher anfänglich auch über die Tatsache, daß er jetzt nicht mehr in einer zum Abreißen bestimmten Bauhütte existieren mußte, sondern jetzt, durch die Mildtätigkeit der alten Dame in ihrem in einem großen Garten gelegenen Stadthaus leben durfte, dankbar gewesen war. Er hatte sich bei der alten Dame als Gärtner nützlich gemacht und war von ihr nach und nach nicht nur neu eingekleidet, sondern tatsächlich verhätschelt worden. Eines Tages war der Türke auf dem Polizeikommissariat erschienen und hatte angegeben, er habe die alte Dame, die ihn aus Mildtätigkeit ins Haus genommen habe, umgebracht. Erwürgt, wie die Gerichtskommission bei einem sofort angesetzten Lokalaugenschein festgestellt hatte. Als der Türke von der Gerichtskommission gefragt worden war, warum er die alte Dame umgebracht und also erwürgt habe, antwortete er, aus Mildtätigkeit.
(Thomas Bernhard. Quelle: Gymnasium Liestal)
Avanzado >> Marie Luise Kaschnitz : Ein ruhiges Haus
Ein ruhiges Haus, sagen Sie? Ja, jetzt ist es ein ruhiges Haus. Aber noch vor kurzem war es die Hölle. Über uns und unter uns Familien mit kleinen Kindern, stellen Sie sich das vor. Das Geheul und Geschrei, die Streitereien, das Trampeln und Scharren der kleinen zornigen Füße. Zuerst haben wir nur den Besenstiel gegen den Fußboden und gegen die 5 Decke gestoßen. Als das nichts half, hat mein Mann telefoniert. Ja, entschuldigen Sie, haben die Eltern gesagt, die Kleine zahnt, oder die Zwillinge lernen gerade laufen. Natürlich haben wir uns mit solchen Ausreden nicht zufrieden gegeben. Mein Mann hat sich beim Hauswirt beschwert, jede Woche einmal, dann war das Maß voll.
Der Hauswirt hat den Leuten oben und den Leuten unten 10 Briefe geschrieben und ihnen mit der fristlosen Kündigung gedroht. Danach ist es gleich besser geworden. Die Wohnungen hier sind nicht allzu teuer und diese jungen Ehepaare haben nicht das Geld, umzuziehen. Wie sie die Kinder zum Schweigen gebracht haben? Ja, genau weiß ich das nicht. Ich glaube, sie binden sie jetzt an den Bettpfosten fest, so daß sie nur kriechen können. Das macht we-15 niger Lärm. Wahrscheinlich bekommen sie starke Beruhigungsmittel. Sie schreien und juchzen nicht mehr, sondern plappern nur noch vor sich hin, ganz leise, wie im Schlaf. Jetzt grüßen wir die Eltern wieder, wenn wir ihnen auf der Treppe begegnen. Wie geht es den Kindern, fragen wir sogar. Gut, sagen die Eltern. Warum sie dabei Tränen in den Augen haben, weiß ich nicht.
(Marie Luise Kaschnitz. Quelle: GlaubenAktuell -Marie Luise Kaschnitz: Steht noch dahin, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1973-)
Avanzado >> Wolfgang Borchert : das Brot
Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche.
Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg.
«Ich dachte, hier wär was», sagte er und sah in der Küche umher.
«Ich habe auch was gehört», antwortete sie und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt.
«Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuß auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch.»
Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.
«Ich dachte, hier wäre was», sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, «ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was.»
«Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.» Sie stellte den Teller vorn Tisch und schnippte die Krümel von der Decke.
«Nein, es war wohl nichts», echote er unsicher.
Sie kam ihm zu Hilfe: «Komm man. Das war wohl draußen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen.»
Er sah zum Fenster hin. «Ja, das muss wohl draußen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier.»
Sie hob die Hand zum Lichtschalter. ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. «Komm man», sagte sie und machte das Licht aus, «das war wohl draußen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer.»
Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füße platschten auf den Fußboden.
«Wind ist ja», meinte er. «Wind war schon die ganze Nacht.» Als sie im Bett lagen, sagte sie: «Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.»
«ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.» Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre.
Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log.
„Es ist kalt“, sagte sie und gähnte leise, „ich krieche unter die Decke. Gute Nacht.“
„Nacht“, antwortete er und noch: „Ja, kalt ist es schon ganz schön.“
Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.
Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können.
«Du kannst ruhig vier essen», sagte sie und ging von der Lampe weg. «Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss du man eine mehr. Ich vertrag es nicht so gut.»
Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid.
«Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen», sagte er auf seinen Teller.
«Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man.»
Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch.
(Wolfgang Borchert. Quelle : Filminstitut Hannover)
Avanzado >> Heinrich Hannover: Herr Böse und Herr Streit
Als im Oktober die Äpfel reif wurden, holte Herr Böse mitten in der Nacht seine Leiter aus dem Keller und stieg heimlich und leise-leise auf den Baum und pflückte alle Äpfel. Als Herr Streit am nächsten Tag ernten wollte, war kein einziger Apfel mehr am Baum. «Warte!», sagte Herr Streit, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr pflückte Herr Streit die Äpfel schon im September, obwohl sie noch gar nicht reif waren. «Warte!», sagte Herr Böse, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr pflückte Herr Böse die Äpfel schon im August, obwohl sie noch ganz grün und hart waren. «Warte!», sagte Herr Streit, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr pflückte Herr Streit die Äpfel schon im Juli, obwohl sie noch ganz grün und hart und soo klein waren. «Warte!», sagte Herr Böse, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr pflückte Herr Böse die Äpfel schon im Juni, obwohl sie noch so klein wie Rosinen waren. «Warte!», sagte Herr Streit, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr schlug Herr Streit im Mai alle Blüten ab, sodass der Baum überhaupt keine Früchte mehr trug. «Warte!», sagte Herr Böse, «dir werd’ ich’s heimzahlen.»
Und im nächsten Jahr im April schlug Herr Böse den Baum mit einer Axt um. «So», sagte Herr Böse, «jetzt hat Herr Streit seine Strafe.» Von da ab trafen sie sich häufiger im Laden beim Äpfelkaufen.
Heinrich Hannover. Quelle: foermig.uni-hamburg
Avanzado >> Friedrich Dürrenmatt : Weihnachten
Es war Weihnacht. Ich ging über die weite Ebene. Der Schnee war wie Glas. Es war kalt. Die Luft war tot. Keine Bewegung, kein Ton. Der Horizont war rund. Der Himmel schwarz. Die Sterne gestorben. Der Mond gestern zu Grabe getragen. Die Sonne nicht aufgegangen. Ich schrie. Ich hörte mich nicht. Ich schrie wieder. Ich sah einen Körper auf dem Schnee liegen. Es war das Christkind. Die Glieder weiß und starr. Der Heiligenschein eine gelbe gefrorene Scheibe. Ich nahm das Kind in die Hände. Ich bewegte seine Arme auf und ab. Ich öffnete seine Lider. Es hatte keine Augen. Ich hatte Hunger. Ich aß den Heiligenschein. Er schmeckte wie altes Brot. Ich biß ihm den Kopf ab. Alter Marzipan. Ich ging weiter.
(Friedrich Dürrenmatt. 1942 geschrieben. Quelle : xlibris)
Avanzado >> Klabund : ein chinesisches Märchen
Es lebte im alten China zur Zeit der Thangdynastie, die in große und gefährliche Kriege gegen ihre Nachbarn verwickelt war, ein Narr; der wagte es eines Tages, sich den Zopf abzuschneiden und also durch die Straßen von Peking zu marschieren. Der Wagemut dieses Unternehmens verblüffte die gelbmäntlichen Soldaten des Kaisers derart, daß sie ihn für einen Irren hielten und unbehindert passieren ließen. Er wanderte durch Peking – über Land – immer ohne Zopf – und gelangte über die Grenze nach einem Lande, das sich in den Thangkriegen für neutral erklärt hatte.
Von dort richtete er schön auf Seidenpapier und anmutig und bilderreich stilisiert einen Brief an den Kaiser Thang, in dem er mit jugendlicher Freiheit zu sagen wagte, was eigentlich alle dachten, aber niemand sagte, nämlich: er, der Kaiser, möge doch sich zuerst den veralteten Zopf abschneiden und so seinen Landeskindern (nicht: Untertanen – denn untertan sei man den Göttern oder Buddha) mit erhabenem Beispiel vorangehen und der neuen Zeit ein leuchtendes Symbol geben. Es sei eines großen und überaus mächtigen Reiches nicht würdig, nach außen so stark, nach innen so schwach zu sein.
Der Narr rezitierte diesen Brief, von Reiswein und edler Gesinnung trunken, seinen Freunden eines Sonn-Abends, worauf er ihn mit einem reitenden Boten nach Peking sandte.
Die Ratgeber des Kaisers gerieten in große Bestürzung. Sie enthielten dem Sohn des Himmels das Schreiben des Narren vor und verboten bei Todesstrafe, die darin enthaltenen Ideen ruchbar werden zu lassen.
Der Narr liebte sein Vaterland sehr. Die Liebe zu ihm hatte ihm den Pinsel zum Brief in die Hand gedrückt und das Kästchen mit schwarzer Tusche. Aber seine wahrhaft unschuldig getane Tat wurde ihm von allen Seiten falsch gedeutet. Die Denunzianten bemächtigten sich seiner, während er fern der Heimat weilte, und beschuldigten ihn bei den Behörden des Kaisers des Vaterlandsverrates und der Majestätsbeleidigung. Ja, sie gingen so weit, zu behaupten, er habe den Brief im Auftrag der Feinde geschrieben und stehe im Dienste der mongolischen Entente. Andere wieder verdächtigten sein chinesisches Blut und schimpften ihn einen krummnäsigen Koreaner.
Der Narr wagte eine heimliche Fahrt in die Heimat und erfuhr zu seinem Entsetzen, was über ihn gesprochen und geglaubt wurde. Er, der in der Ferne nur seinen blumenhaften Träumen gelebt hatte, wurde beschuldigt, Flugblätter über die Grenze an die Soldaten des Kaisers gesandt zu haben, die dazu aufforderten, das Reich dem Feinde preiszugeben. Der Narr geriet in Bestürzung und Tränen. Er zog sich wie eine Schnecke ganz in sich selbst zurück, mißtraute auch seinen wenigen Freunden und reiste heimlich, wie er gekommen war, ins fremde Land zurück. Er dankte es der Gnade der Götter, daß er die Grenze noch passierte, denn die Häscher des Kaisers waren auf ihn aufmerksam geworden. Reiter jagten hinter ihm her. Ein plötzlich einsetzender Platzregen hinderte sie am Vorwärtskommen. Beauftragt, den Narren nach der nordchinesischen Festung Rü-S-Trin zu bringen, erreichten sie eine halbe Stunde zu spät die Grenzpfähle.
Dem Kaiser hing der antiquierte Zopf noch lange hinten herunter. Er wußte nichts von dem Narren und seinem Brief und ließ das Schwert und nicht den Geist regieren.
Der Narr lebte fürder einsam an einem melancholischen See.
Er blickte, das Haupt auf das Kinn gestützt, auf die grünen Palmen und die violetten Berge. Die Möwen kreuzten kreischend über ihm. Sein Herz suchte in manchen Nächten das Herz des Kaisers. Auch der Kaiser spürte auf seinem goldenen Thron zuweilen ein sonderbares Sehnen: er wußte nicht, wonach ... Er neigte das Haupt in die Hand, der Zopf zitterte, und er dachte angestrengt nach ... Aber die Herzen des Narren und des Kaisers fanden sich nicht. Ein Gebirge erhob sich steil und felsig, baum- und weglos zwischen ihnen, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch ..."
(aus dem Roman "Bracke" von Klabund. 1918 erschienen Quelle: gutenberg.spiegel.de)
Avanzado >> Franz Kafka : Ein Kommentar
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: »Von mir willst du den Weg erfahren?« »Ja«, sagte ich, »da ich ihn selbst nicht finden kann.« »Gibs auf, gibs auf«, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen."
(Vermutlich zwischen Mitte November und Mitte Dezember 1922, von Max Brod mit dem Titel Gib's auf" veröffentlicht)
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